„Hast du schon das tolle Stelleninserat gesehen“, frage ich eine gute Freundin. „Die Stelle würde perfekt zu dir passen, und ausserdem würde es eine Stufe nach oben auf der Karriereleiter bedeuten. Möchtest du dich nicht darauf bewerben?“ Die Freundin antwortet mir, dass diese Position zu „senior“ für sie sei. Schliesslich würde sie nicht die gewünschte Anzahl Jahre an Berufserfahrung mitbringen, und ausserdem würde sie sich einen solchen Job auch nicht zutrauen. Ich habe versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Denn meiner Meinung nach, würde sie alle nötigen Kompetenzen für die ausgeschriebene Stelle mitbringen. Genützt hat es leider nichts. Woran liegt es eigentlich, dass wir Frauen uns oft nicht auf Stellen bewerben, die uns eigentlich interessieren würden?

Das Stelleninserat als Stolperstein

Männliche Mitarbeiter bewerben sich für eine Stelle, wenn sie 60 Prozent der Anforderungen erfüllen. Frauen erst, wenn sie jeden einzelnen Punkt der Stelle mit ihren Qualifikationen “matchen“ können. Dies stammt laut einer Studie davon, dass Frauen häufiger darum bemüht sind, Regeln zu befolgen, und sie mehr Angst davor haben, zu versagen als ihre männlichen Kollegen. Dabei enthält ein Anforderungsprofil häufig auch Kriterien, die zwar der Wunschkandidatin entsprechen, aber nicht zwingend erfüllt sein müssen.  Mit andern Worten: Wir müssen keine eierlegende Wollmilchsau sein, damit wir uns auf eine Stelle bewerben dürfen.

Zudem wurde festgestellt, dass sich Frauen bei Begriffen wie Kommunikationstalent, Experte oder Entscheidungsstärke weniger angesprochen fühlen. Denn dies sind Attribute, die wir uns nicht trauen selber zuzuschreiben.

Die Krux mit der Selbsteinschätzung

Diverse Umfragen haben gezeigt, dass Frauen dazu tendieren, sich zu unterschätzen. Dies führt dazu, dass wir uns zu wenig zutrauen und oft auch selbst im Wege stehen, wenn es um die berufliche Karriere geht. Dabei sind „typisch“ weibliche Kompetenzen wie die Fähigkeiten andere zu begeistern und zu motivieren, Mitarbeitende zu fördern, Beziehungen zu pflegen und kooperativ zu sein wichtige Führungskompetenzen. Dies besonders in Zeiten, in denen Innovation und Anpassungsfähigkeit gefragt sind.

Das Bild in unseren Köpfen

Es liegt scheinbar häufig in der Verhaltensweise und bei Entscheidungen, weshalb sich Frauen selbst den Aufstieg erschweren. Es liegt aber auch an festen Rollenerwartungen und Stereotypen, insbesondere am „Think Manager, Think Male-Phänomen“: Untersuchungen haben gezeigt, dass Rollenvorstellung von Männern und Führungskräften sehr ähnlich sind, aber solche von Frauen und Führungskräften sich unterscheiden. Dies führt dazu, dass wir Frauen oft unbewusst als weniger geeignet für Führungspositionen einschätzen und gezeigtes Führungsverhalten sogar mit sozialer Abwertung bestrafen, respektive sie eher als „bossy“ empfinden, wohingegen wir das bei einem männlichen Vorgesetzten nicht tun.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Eine verantwortungsvolle Stelle bringt oft ein höheres Arbeitspensum mit sich, was bedeutet, dass man sich im Punkto Fremdbetreuung neu organisieren muss. Klar ist das ein Aufwand und zusätzlicher Kostenpunkt, der sich Ende Monat rechnen muss. Doch auch in diesem Punkt spielt das klassische Bild der Rollenverteilung in unseren Köpfen eine Rolle. Eine Mama, die Karriere macht und beruflich ambitioniert ist, passt noch immer weniger ins Bild als ein Papa, der die Karriereleiter hochklettert.

Schade, dass sich meine Freundin nicht beworben hat. Ich bin immer noch der Meinung, dass sie sich mehr zutrauen sollte, wenn es um ihre berufliche Karriere geht. Ein Versuch wäre es doch wert gewesen. So schlimm ist eine Absage auch nicht.
 


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