Lilith machte vor zwei Jahren bei der Kontrolle brav mit: «Welche Farbe siehst Du hier?» «Grün». Wie alt bist Du? «Vier». Welche Zahl siehst Du hier? «Acht». Unsere Kinder werden schon von klein auf gemessen, gewogen, die Daten fein säuberlich festgehalten und mit dem Durchschnitt verglichen. Selbstverständlich ist diese medizinische Versorgung durch hochqualifizierte Fachkräfte ein Privileg, welches ich nicht missen möchte.

Aber irgendwie ist die Sache ausser Kontrolle geraten. Wir wollen nicht mehr nur wissen, ob sich unsere Kinder gesund entwickeln. Nein, wir wollen jedes Detail über, von und im näheren oder weiteren Zusammenhang mit unserem Kind kennen und kontrollieren. Da reicht es nicht, wenn die Kita-Frau am Abend über den Tag mit dem Kind informiert. Nein, all diese Informationen erhalten Eltern seit neuestem via Kita App in Echtzeit. Ich stelle mir das gerade vor: Ich präsentiere mein neues Konzept – da vibriert mein Handy mit der Information, dass Fjonn gerade auf dem Klo war. Oder ich sitze in einem Mitarbeitergespräch und auf meinem Handybildschirm blinkt die Nachricht, dass sich Lilith mit einem anderen Kind über einen Strohhalm gezankt hat.

Kita App liefert laufend Informationen

Das Angebot stösst auf reges Interesse. In der Kita, welche die App testet, haben alle Eltern mitgemacht. Vor ein paar Jahren hätte ich das wohl auch. Die Kaderfrau mit der eben fertig geschriebenen Doktorarbeit hatte nämlich von den kleinen temperamentvollen Menschlein und dem Umgang mit ihnen nicht die leiseste Ahnung. Also hat sie alle verfügbaren Informationen aufgesaugt, um alles perfekt zu machen. So schien mir ein altes Papa Moll Buch nicht mehr so ganz pädagogisch wertvoll und ich habe die Geschichte beim Erzählen in Echtzeit angepasst. Fjonn, damals 2, hat sich das eine Weile angehört, sich dann resolut den pädagogisch ebenfalls nicht wertvollen Nuggi aus dem Mund gezogen und genervt gesagt: «Mama, jetzt erzähl einfach die Geschichte».

Er hat mich überzeugt – heute würde ich jedenfalls dankend auf eine solche Überwachungsapp der Kita verzichten, böte sie denn eine solche an. Passierte meinen Kindern etwas Schlimmes, erführe ich das sowieso und liesse jedes Konzept liegen und jeden Mitarbeiter stehen. Stuhlgänge und Strohhalme können aber bis zum Abend warten. Einmal hatte Lilith die glorreiche Idee, sich eine ungeniessbare Beere von einem Strauch zu pflücken und sich in den Mund zu stecken. Die Betreuungsperson handelte rasch: Sie rief Tox Info an, notierte sich deren Auskunft und informierte mich am Abend über Beere und ärztlichen Hinweis. Kind gesund, Job erledigt, alles gut.

Kontrolle ist gut, Loslassen können auch

Ich vertraue darauf, dass es meinen Kindern auch an anderen Orten als bei mir an der physischen oder digitalen Hand gut geht. Und genau darin liegt unsere Chance, trotz und wegen unserer Kinder im Beruf durchzustarten. Loslassen bleibt natürlich eine ständige Herausforderung – mir macht es schon Bauchweh wenn ich daran denke, dass bald beide Kids ihren Kindergarten – und Schulweg unter die eigenen, immer grösser werdenden, Füsse nehmen. Nicht nur uns, sondern auch unseren Kindern tun wir aber einen Gefallen, wenn wir uns dieser Herausforderung stellen. Denn auch sie wollen nicht ständig überwacht werden. Weder per Kita App noch per Smartwatch noch per Elterntaxi.

Mit der Zeit wurde es Lilith übrigens auch bei der Vierjahreskontrolle zu blöd. Auf die Frage des Kinderarztes, wie viele Kinder sie auf dem Bild sehe, hat sie geseufzt, die Schultern gezuckt und gemeint: «Ganz viele».

Job für Mama CTA


5 Kommentare

NaRu · 21. Februar 2019 um 12:55

Liebe Vera.
Ich finde Ihren Artikel sehr einseitig betrachtet und zu fest auf „Kontrolle“ ausgelegt. Ich persönlich würde die App nutzen, aber nicht aus Gründen der ständigen Kontrolle über mein Kind oder der zeitnahen Berichterstattung ob es grad gepupst hat oder weint (und ich glaube, darum geht es den Eltern auch gar nicht). Eher damit ich am Abend mein Kind rasch mitnehmen kann und nicht warten muss, bis die anderen 5 Mamis/Papis vor mir den mündlichen Tagesbericht (je nach dem dauert das auch 2-3min) erhalten haben und mein Kind mir derweil am Hosenzipfel hängt um endlich heimzugehen. Ich stelle mir es z. B. auch für das Personal einfacher und effizienter vor, den Bericht digital zu erfassen als handschriftlich. Push-Meldungen lassen sich auch abstellen, sofern man sich erst nach der Arbeit auf Weg in die KiTa informieren möchte, um dann allenfalls noch Rückfragen stellen zu können – oder eben auch nicht. Und dadurch dass Mami & Papi Zugang zu den Daten haben, kann sich der auch der interessierte, aber erst spät am Abend heimkommende Papi ein Bild verschaffen über die Aktionen seines Kindes, falls Mami beim in den Schlaf begleiten der Kids auch eingeschlafen ist 🙂 Ich sehe eher viele Vorteile, als reine Kontrolle oder Misstrauen in das Personal. Und wenn die ErzieherInnen gut geschult sind im Umgang mit der App, sehe ich auch wenig Gefahr des Datenmissbrauchs oder dass die Kinder sie ständig auf einem iPad rumdaddeln sehen – klare Regeln braucht es, klar.

    Vera Beutler · 21. Februar 2019 um 20:39

    Hallo

    Danke für den Kommentar!

    Ich hätte die App als frischgebackene Mutter wohl auch genutzt. Ich bin aber froh, dass das damals noch kein Thema war. Nicht nur, dass ich so gelernt habe, Kontrolle abzugeben und zu vertrauen. Sondern, wenn ich Ihre Zeilen lese, auch, dass die effiziente Informationsverarbeitung ein zentraler Teil meines Berufs ist, aber für den Umgang mit meiner Familie für mich keine Bedeutung hat.

    Ohne diesen Anspruch, auch bei der Familie alles effizient abzuwickeln, konnte und kann ich beispielsweise vom abendlichen Austausch mit den Kita-Frauen und -Männern profitieren. Der übrigens bei uns länger dauert als 2-3 Minuten pro Kind, und das ist für mich auch gut so: Ich spüre im persönlichen Gespräch zum einen, was meine Kinder beschäftigt hat. Zum anderen kann ich auch nachfragen, wie es den Menschen geht, die meine Kinder betreut haben.

    Und wenn mein Partner die Kids abholt und dann schon schläft, wenn ich heimkomme? Dann gehe ich in unser Schlafzimmer, schaue meine seelig schlummernde Familie an und warte bis zum nächsten Tag um nachzufragen, wie der Tag denn war.

Ilona Györfy · 22. Februar 2019 um 21:00

ich finde ich die momentanen Schlagzeilen darüber interessant. Und wie sich auch darüber die Meinungen teilen. Ich bin sehr offen für solche Entwicklungen und würde daher solche Dinge immer sehr gerne selber „testen“ und „spüren“. Es wird im vorfeld zum Teil schon so vieles mit vorurteilen negativ dargestellt.
Mich würde interessieren wie diese App heisst? Wer Diese App entwickelt hat…..Frau,Mann,Mutter, Geschäftsmann……dass alles würde ein ganz anderes Licht darauf werfen. Und mann gebe dem vielleicht eine vorurteilslose Startmöglichkeit.

Grüsse I.g

Raphaela Cusati (nubana AG) · 27. November 2019 um 9:34

Liebe Vera
Als Gründerin von nubana danke ich dir für diesen Bericht.
Bei nubana geht es vor allem darum: um mehr Effizienz im Kita-Alltag durch weniger analoge Prozesse und um einen zeitgemässen – sprich papierlosen und zentralen – Informationsaustausch mit den Eltern. Dank nubana können Kita und Eltern
★ Kita Neuigkeiten
★ Termine, Termineinladungen, Absenzen
★ Nachrichten
★ Kinderinformationen (z.B. medizinische Angaben)
★ Tagesrapporte
ganz effizient und digital miteinander austauschen. Dadurch sind alle Erziehungsberechtigte gleichermassen und besser informiert. Die Tagesrapporte sind nur eine von vielen Funktionen der App. In der Realität ändert sich nichts am Kita-Alltag bzw. der Art und Menge an dokumentierten Tagesinfos, nur die Art der Erfassung. Was früher auf Papier dokumentiert wurde, wird nun digital dokumentiert. Wie eine Kita die App und insbesondere die Tagesrapporte einsetzt, muss jede Kita in Abstimmung mit ihrem Kita-Konzept und den Bedürfnissen der Eltern selber definieren.
Ich bin selbst Mutter einer Kita-Tochter und die App ist aus einem eigenen Bedürfnis entstanden. Mir liegt nichts ferner, als ständig alles über meine Tochter zu wissen. ABER: ich und mein Mann möchten unseren Familienalltag effizient und modern organisieren und dabei stören mich die vielfältigen Kommunikationskanäle (Zettel, Aushänge in der Kita, E-mails, mündliche Infos etc. etc.). Das war der Ursprung der App-Idee.

Liebe Grüsse, Raphaela (Gründerin und Geschäftsführerin von nubana).

    Vera Beutler · 27. November 2019 um 18:25

    Hallo Raphaela

    Ich kann die Idee hinter der App gut nachvollziehen und auch die Effizienz von Abläufen ist bei mir ganz oben auf der Prioritätenliste.

    Wie ich aber bereits in meiner Antwort auf einen älteren Kommentar oben dargelegt habe, hat genau dieser Effizienzgedanke einen viel tieferen Stellenwert, wenn es um meine Familie geht. Weil der zwischenmenschliche Kontakt nichts mit Effizienz zu tun haben kann. Rein Administratives sollte natürlich auch da effizient sein, aber ob es alleine für Termine eine App braucht?

    Ich gebe zu, seitdem meine Kinder im KiGa und in der Schule sind, habe ich angesichts der teilweise gewöhnungsbedürftigen Informationsweisen ein paar Mal an die App gedacht. Aber auch weitergedacht: Eine solche App wäre für Schulkindeltern praktisch, würde dann aber den Kindern selbst die Verantwortung abnehmen. Und die Verantwortung, selber dafür sorgen zu müssen dass die Infos zu den Eltern kommen lieben sie und nehmen sie sehr ernst.

    In diesem Sinne: Für mich ist die App auch beim nochmaligen Durchdenken nichts, aber wenn sie für andere Eltern passt, ist das doch schön für Dich und Dein Start-Up.

    Herzlich,
    Vera

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